Rentenreformen sind nötig – Geschlechterungleichheiten dürfen aber nicht aus dem Blick geraten
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Rentenreformen sind nötig – Geschlechterungleichheiten dürfen aber nicht aus dem Blick geraten
Carla Rowold
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Angesichts der aktuellen intensiven Debatten über Rentenreformen fasse ich hier zentrale Punkte zur geschlechtsspezifischen Rentenlücke zusammen, die bei den Reformbemühungen mitbedacht werden sollten. Ich erläutere die grundsätzliche Bedeutung von Geschlechterungleichheiten bei der Rente ebenso wie ihre Relevanz für künftige Generationen und diskutiere ausgewählte Ergebnisse meiner Forschung, die dazu beitragen können, Ungleichheiten im Alter zu verringern.
Was bedeutet die Rentenlücke und wie hoch fällt sie aus?
Die Rentenlücke (engl: Gender Pension Gap) gibt die Differenz des durchschnittlichen Renteneinkommen der Männer im Vergleich zum Renteneinkommen der Frauen an. Frauen erhalten in den meisten Ländern durchschnittlich deutlich weniger Renteneinkommen als Männer, wobei Deutschland dabei eine vergleichsweise hohe Rentenlücke aufzuweisen hat (Hammerschmid and Rowold 2019). Beispielsweise erhalten Frauen in Westdeutschland nach meinen Berechnungen durchschnittlich 61 % weniger Renteneinkommen als Männer, in Italien 53% und in den Niederlanden 46% (Rowold 2023). In absoluten Zahlen bedeutet dies, dass Frauen in Westdeutschland im Schnitt mit 13.449 € weniger Rente jährlich auskommen müssen. Der Gender Pension Gap in Ostdeutschland beläuft sich nach meinen Berechnung auf circa 24% (Rowold 2022). Das Niveau dieser Rentenlücke übersteigt in den meisten Ländern das Niveau der weitaus bekannteren Gender Wage Gap (Hammerschmid and Rowold 2019). Im Vergleich zur Rentenlücke von 61% in Westdeutschland beträgt die Lohnlücke (‚Gender Wage Gap‘, das Äquivalent zur Rentenlücke, aber für den Erwerbslohn berechnet) in Westdeutschland zurzeit 17% (Destatis 2025).
Die Höhe der errechneten Rentenlücken hängt von vielen verschiedenen Definitionen ab.[1] Ich nutze in meinen Analysen beispielsweise die Summer der gesetzlichen, betrieblichen und privaten Renteneinkommen (ohne Berücksichtigung der Hinterbliebenenrente). Darüber hinaus sind diese Rentenlücken und meine bisherigen Analysen dazu auf Basis von Individuen über einem Alter von 64 Jahren berechnet und umfassen die Geburtskohorten 1911-1950. Da Rentenlücken auf Basis gesamter Biografien vor dem Renteneintritt entstehen, und geschlechtsspezifische Ungleichheiten einem Wandel unterliegen ist, zu berücksichtigen, dass die Ergebnisse primär für ältere Kohorten zutreffen, während für jüngere Generationen weiterführende Analysen notwendig sind. Ich diskutiere jedoch die Relevanz des Themas für künftige Generationen von Renter*innen im Abschnitt ‚Gender Pension Gaps – kein Problem für zukünftige Kohorten‘.
Warum die geschlechtsspezifische Rentenlücke relevant ist
Allein das Ausmaß der Rentenlücke in den meisten Ländern unterstreicht bereits die Relevanz des Themas, etwa auch als Indikator für die kumulative Akkumulation von Geschlechterungleichheiten, da – wie ich unten argumentiere – viele Rentensysteme, darunter auch das deutsche, ganze Lebensverläufe bewerten. Trotz des teils deutlich höheren Niveaus der Gender Pension Gap in den meisten europäischen Ländern hat dieses Phänomen bislang weit weniger Aufmerksamkeit erhalten als geschlechtsspezifische Ungleichheiten während der Erwerbsphase.
Nun kann man argumentieren, dass viele Frauen mit niedriger eigener Rente durch den Haushaltskontext, also etwa einen Partner mit ausreichender Rente, abgesichert sind. Zwar trifft dies auf viele Frauen zu, doch zugleich lässt sich diese Situation auch als Form finanzieller Abhängigkeit beschreiben. Dies birgt ein erhebliches Risiko, da Frauen, die im Alter auf die Rente ihres Partners angewiesen sind, finanziell verletzlich sind – vor allem vor dem Hintergrund zunehmender Trennungen und instabilerer Partnerschaften (Rowold and Van Winkle 2023; Van Winkle and Fasang 2021). Ältere Frauen sind also vermehrt auf ein eigenes, eigenständiges Einkommen im Alter angewiesen. Außerdem sind geschlechtsspezifische Rentenungleichheiten vor allem auch sozialpolitisch relevant, da Frauen im Alter einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt sind (Haitz 2015; Ahonen and Kuivalainen 2024). Und schließlich prägen Trends wie Privatisierung und Individualisierung die Rentenpolitik (Ebbinghaus 2011; Kuitto et al. 2021), wodurch gesetzlich Renten in vielen Ländern gekürzt werden. Solche Entwicklungen gefährdet besonders Frauen, die häufig instabilere Erwerbsbiografien aufweisen, niedrigere Einkommen haben und stärker auf Umverteilung angewiesen sind, die vor allem in der gesetzlichen Rente angesiedelt ist.
Geschlechtsspezifische Lebensverläufe und insbesondere Aufteilung von Sorgearbeit als wichtige Gründe für die Rentenlücke
Ein weit verbreiteter Befund in der bisherigen Forschung ist, dass ein Großteil der Rentenlücke darauf zurückzuführen ist, dass Frauen im Schnitt viel weniger Jahre vollzeiterwerbstätig sind. Dies ist zwar zutreffend, bildet aber nur einen Teil des Mechanismus ab. In meinen Analysen kompletter Lebensverläufe zeigt sich, dass die geringere Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen maßgeblich darauf zurückzuführen ist, dass sie – überwiegend in der Rolle von Müttern und Ehefrauen – den überwiegenden Teil der unbezahlten Sorgearbeit allein tragen und damit erst die kontinuierliche Erwerbsbeteiligung ihrer Partner ermöglichen. Sie legten damit also die Basis für die kontinuierliche Beitragszahlung ihrer Partner und trugen durch die Erziehung der künftigen Beitragszahler*innen entscheidend zur intergenerationalen Reproduktion des Systems bei. Diese unbezahlte Sorgearbeit der Frauen war daher also grundlegend für die langfristige Stabilität des Rentensystems und des viel diskutierten Generationenvertrags.
Gerade weil weibliche Sorgearbeit für das Rentensystem von zentraler Bedeutung ist, erscheint es umso bemerkenswerter, wie gering sie dort bewertet wird. Geschlechtsspezifische Ungleichheiten im Lebensverlauf führen nämlich erst zu großen Ungleichheiten bei der Rente, wenn diese geschlechtsspezifischen Lebensverläufe auch unterschiedlich vom Rentensystem bewertet werden - was, wie ich zeige, in Deutschland, aber auch in den Niederlanden und Italien, der Fall ist (Rowold 2023).
Vor diesem Hintergrund identifiziert meine Dissertation als zentrale Ursachen der Rentenlücke stark geschlechtsspezifische Erwerbs- und Familienbiografien in konservativen Wohlfahrtsstaaten wie Deutschland, die der traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung folgen. Väter können ihre Elternschaft mit einer kontinuierlichen Vollzeiterwerbstätigkeit verbinden, während Mütter die unbezahlte Sorgearbeit übernehmen oder diese mit Teilzeiterwerbstätigkeit kombinieren, oft nach einer Erwerbsunterbrechung. Ungleichheiten, die bereits durch Mutterschaft im Erwerbsverlauf entstehen, werden im Alter durch das Rentensystem reproduziert, indem diese weibliche Lebensverläufe geringe Renten erzielen.
Statt die Rentenlücke vor allem mit der geringeren Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erklären, zeigt sich: Sie entsteht vor allem deshalb, weil Männer sich kaum an der Sorgearbeit beteiligen – und weil diese Arbeit im Rentensystem nur gering bewertet wird.
Rollenkonformität und Rentennachteile: Ein Mismatch zwischen Wohlfahrtsstaat und Rentenpolitik für Frauen
Diese geschlechtsspezifischen Lebensverläufe sind nun nicht nur Ausdruck individueller Präferenzen, sondern sind vor allem auch das Ergebnis wohlfahrtsstaatlicher Strukturen. Denn die in der Dissertation untersuchten Länder haben lange wohlfahrtspolitisch das männliche Alleinernährer-Modell und damit traditionelle Geschlechterrollen stark incentiviert Die Ergebnisse der Arbeit machen damit zweitens deutlich, dass die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die damit verbundene Politik des Wohlfahrtsstaats langfristige Auswirkungen auf die Rentenungleichheiten haben. Männer, die den traditionellen Rollen als Ernährer entsprachen, erhalten hohe Renten. Frauen, die sich der Rolle als Hauptverantwortliche für Sorgearbeit anpassten, werden systematisch benachteiligt und sind finanziell stark abhängig von Partnern, was langfristige Auswirkungen auf ihre finanzielle Unabhängigkeit im Alter hat. Dies unterstreicht ein Ungleichgewicht zwischen den Anreizen früherer Wohlfahrtsstaatspolitiken und der ungleichen Bewertung der daraus resultierenden geschlechtsspezifischen Lebensverläufe durch die heutige Rentenpolitik. Und diese Diskrepanz geht paradoxerweise zu Lasten der rollenkonformen Frauen.
Die hohen Rentenlücken in Westdeutschland, Italien und den Niederlanden entstehen also zu einem großen Teil aus der Akkumulation geschlechtsspezifischer Ungleichheiten im Lebensverlauf, die sich in stark geschlechtsspezifischen Lebensverläufen ausdrücken, welche dann durch die Rentensysteme unterschiedlich belohnt werden.
Teilzeitarbeit: Zwischen Arbeitsmarktrückkehr und Rentennachteil
Der ganzheitliche Ansatz meiner Forschung (d.h. komplette Erwerbs- und Familienbiografien zu berücksichtigen) verdeutlicht, dass Teilzeitbeschäftigung häufig familienbedingten Erwerbsunterbrechungen folgt und in Kombination mit diesen für das Renteneinkommen von Frauen kontraproduktiv ist. 7.4% der Rentenlücke in der gesetzlichen und 5.6% der Rentenlücke in den privaten (betriebliche und private) Renten sind darauf zurückzuführen, dass mehr Mütter als Väter in Westdeutschland, nach Erwerbsunterbrechungen parallel zur Geburt des Kindes, in Teilzeit beschäftigt sind (Rowold 2024, siehe Table 1 und Figure 3 hier). Allerdings trägt dieser Teilzeit-Erwerbsverlauf im Vergleich zu den weiblich dominierten Erwerbsverläufen mit kontinuierlicher Sorgearbeit in geringerem Ausmaß zur geschlechtsspezifischen Rentenlücke bei. Dennoch wird ersichtlich, dass ein Großteil der Mütter nach dem Wiedereinstieg in Teilzeitarbeit auch bis zur Rente in Teilzeit beschäftigt ist. Teilzeiterwerbstätigkeit ebnet also für Frauen der untersuchten Geburtskohorten den Weg zurück in den Arbeitsmarkt, wird dann aber in der Tat oft zur ‚Teilzeitfalle‘, ebnet also oft nicht den Weg zurück in die Vollzeiterwerbstätigkeit (beides bspw. in Figure 2 hier ersichtlich).
Privatisierung der Rente und Geschlechterungleichheiten
Private Renten (die Summe aus betrieblicher und privater Vorsorge) reproduzieren geschlechtsspezifische Einkommensungleichheiten während des Erwerbslebens in Deutschland viel stärker als die gesetzliche Rente. Die fehlende Beteiligung von Müttern an gut entlohnten Vollzeiterwerbstätigkeitskarrieren erklärt 22 % der Rentenlücken bei privaten Renten, das ist fünfmal so hoch wie bei gesetzlichen Renten (Rowold 2024, siehe Figure 3). Teil des Grundes, warum die privaten Renten nachteiliger für Frauen sind, ist, dass, zumindest in der heutigen Renter*innengeneration, viel weniger Frauen einen Zugang zur betrieblichen oder privaten Vorsorge haben (43% der Männer in Vergleich zu 24% der Frauen, siehe Table 4.3). 55% dieser sogenannten Gender Coverage Gap sind auf die Geschlechterungleichheiten in den Erwerbsbiografien von Eltern zurückzuführen (Sorgearbeitsbiografien ausschließlich bei Frauen, und überproportionaler Anteil von Männern im Vergleich zu Frauen, die ihre Elternschaft mit Vollzeiterwerbstätigkeit verbinden können).[^2]
Auch wenn private Renten bestehende Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern stärker als die gesetzliche Rente reproduzieren, kann im Kontext der fortschreitenden Privatisierung der Altersvorsorge in Deutschland eine verpflichtende und flächendeckende Einbeziehung in diese Vorsorgeformen als mögliche Maßnahme zur Reduktion von Zugangsungleichheiten erwogen werden (S. 203ff. & 308 in der Dissertation). Eine solche Reform würde zwar keine Geschlechtergleichstellung bei privaten Renten bewirken, könnte aber zumindest einen Teil der strukturellen Geschlechterungleichheit adressieren, nämlich den bislang ungleichen Zugang zu diesen Vorsorgeformen. Dennoch müsste die Politik bei einem solchen Vorhaben berücksichtigen, dass private Renten bestehende Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern, und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zwischen anderen sozialen Gruppen, stärker als die gesetzliche Rente reproduzieren (siehe Table 1 und Figure 3 hier). Entsprechend wären zum einen deutlich stärkere und wirksamere Maßnahmen zur Reduktion geschlechtsspezifischer Lohn- und Einkommensunterschiede im Erwerbsverlauf erforderlich. Zum anderen könnten umverteilende Elemente in die betriebliche oder staatlich geförderte private Vorsorge eingebunden werden, welche die Reproduktion von Geschlechterungleichheiten, bspw. beim Einkommen, abschwächen.
Gender Pension Gaps – kein Problem für zukünftige Kohorten?
Vor dem Hintergrund der steigenden weiblichen Erwerbspartizipation der letzten Jahrzehnte kann argumentiert werden, dass die starke geschlechtsspezifische Ungleichheit bei der Sorgearbeit vor allem auf ältere Generationen zutrifft, und die Rentenlücke dementsprechend in Zukunft abnehmen sollte.
Zwar hat die Erwerbspartizipation von Frauen seit den frühen 1990er-Jahren deutlich zugenommen, doch dieser Anstieg ist fast ausschließlich auf die stark gestiegene Teilzeitquote zurückzuführen, die in jüngeren Kohorten auf einem sehr hohen Niveau verharrt (WSI GenderDatenPortal 2025). Diese ausgeprägte Teilzeiterwerbstätigkeit spiegelt die umfangreiche Sorgearbeit wider, die Frauen leisten. Eine weitere Konstante in Deutschland ist die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern, die ebenfalls auf einem sehr hohen Niveau verweilt (Schmieder and Wrohlich 2021; Schmitt and Auspurg 2022). Beide Faktoren sind schon jetzt wichtige Erklärungen der Rentenlücke (Rowold 2024) und könnten in Zukunft an Relevanz noch zunehmen. Aber insbesondere die Lohnungleichheiten der Geschlechter werden in den stärker privatisierten Rentensystemen der Zukunft voraussichtlich noch stärker reproduziert. Diese verschiedenen Dynamiken könnten zu einer Stagnation der GPGs führen, ähnlich der Entwicklung des Gender Wage Gaps in Deutschland.
Wie sich die Rentenlücke in Zukunft in Deutschland entwickeln wird, hängt maßgeblich davon ab, (a) in welchem Ausmaß Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine geschlechteregalitärere Aufteilung der Sorgearbeit ermöglichen und bestehende Geschlechterungleichheiten am Arbeitsmarkt abbauen, und (b) wie Reformen des Rentensystems künftig ausgestaltet werden – auch in Bezug darauf, in welchem Maße die betriebliche und private Altersvorsorge weiterhin exklusiv organisiert ist.
Zur Reduktion der Rentenlücke muss vor allem bei der Bekämpfung von Geschlechterungleichheiten früh im Lebensverlauf angesetzt werden
Dies sind zugleich die beiden zentralen Ansatzpunkte zur Reduktion des Gender Pension Gaps (GPG). Erstens benötigen Mütter besseren Zugang zu stabilen und gut vergüteten Erwerbsverläufen. Zweitens, und vor allem für die Reduktion der Rentenlücke heutiger Renter*innengenerationen müssten Rentensysteme wirksamere Umverteilungsmechanismen entwickeln, die insbesondere die gesellschaftlich notwendige, aber unbezahlte Sorgearbeit adäquat berücksichtigen. Für eine geschlechtergerechte und innovative Rentenpolitik in der Zukunft ist es entscheidend, die Wechselwirkungen zwischen Wohlfahrts- und Rentenpolitik sowie die ungleiche Belohnung stark geschlechtsspezifischer Lebensverläufe zu adressieren.
1. Der nachhaltigste Weg für zukünftige Generationen: Geschlechtergerechte Lebensverläufe ermöglichen
Eine gleichmäßigere Verteilung unbezahlter und bezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern würde Frauen langfristig größere finanzielle Unabhängigkeit im Alter ermöglichen. Eine gerechtere Verteilung von Sorgearbeit und der Abbau von Geschlechterungleichheiten im Erwerbsleben wären nicht nur der nachhaltigste Weg, um die individuelle Alterssicherung von Frauen zu verbessern, sondern würden auch die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Rente stärken – durch höhere und kontinuierlichere Beitragszahlungen der Frauen.
Um dies zu erreichen, bedarf es einer innovativen und langfristig ausgerichteten Rentenpolitik, die sich gemeinsam mit arbeitsmarkt- und familienpolitischen Maßnahmen gezielt für eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit einsetzt. Dazu gehören der Ausbau öffentlicher Kinderbetreuungseinrichtungen und Elternzeitregelungen, die auch Väter konsequent zur Inanspruchnahme motivieren. Für Deutschland wäre zudem die Abschaffung des Ehegattensplittings zentral, das Doppelverdiener-Ehen finanziell benachteiligt und die Erwerbsbeteiligung von Frauen hemmt (Bach et al. 2020; Blömer et al. 2021). Es sollten auch gezielte Maßnahmen ergriffen werden, um geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede zu reduzieren, da diese Ungleichheiten durch die Privatisierung zunehmend in die Rentensysteme einfließen.
2. Für heutige Rentnerinnen: Effizientere Umverteilung und Anerkennung von Sorgearbeit
Frauen, die kurz vor dem Ruhestand stehen oder sich bereits im Ruhestand befinden, können ihre Lebensverläufe nicht mehr ändern. Sie sind auf Umverteilungsmechanismen in Rentensystemen angewiesen. Insbesondere Sorgearbeit sollte durch rentenpolitische Maßnahmen stärker gewürdigt werden. Aktuelle umverteilenden Elemente in der gesetzlichen Rente wie Kindererziehungszeiten und Aufstockung niedriger Renten sind wichtig für Frauen mit Erwerbsverläufen dominiert durch Sorgearbeit, reichen aber nicht, um die Rentenlücken substanziell zu schließen (Rowold 2024). Besonders am unteren Ende der Rentenverteilung, wo das Armutsrisiko am höchsten ist, ist eine höhere Bewertung dieser durch das Rentensystem entscheidend, um geschlechtsspezifische Rentenungleichheiten zu verringern (S. 196ff. für weiterführende Analysen in der Dissertation).
Das bisher effektivste Instrument zur Verringerung der GPG a priori in der gesetzlichen Rente in Deutschland ist die Aufteilung der während der Ehe erworbenen Rentenansprüchen nach einer Scheidung (sogenannter Versorgungsausgleich) (Kreyenfeld et al. 2023; Rowold 2024). Eine Ausweitung der obligatorischen Aufteilung von Rentenansprüchen auf Paarebene unabhängig von einer Scheidung würde Frauen, die bereits in Rente sind, oder kurz vor dem Renteneintritt, mehr finanzielle Unabhängigkeit im Alter ermöglichen und einer egalitäreren Bewertung der bezahlten und unbezahlten Arbeit am nächsten kommen.
Diese umverteilenden Elemente sind bislang fast ausschließlich in der gesetzlichen Rente verankert, was die zentrale Rolle der gesetzlichen Rente für Frauen deutlich macht. Dies zeigt sich auch daran, dass die Rentenlücke für die Geburtskohorten 1920-1950 in der gesetzlichen Rente (58.3%) fast 20 Prozentpunkte unter der in den privaten Renten (76.6%) liegen (Rowold 2024).
Fazit: Geschlechterungleichheiten im Erwerbsleben und Sorgearbeit rentenpolitisch adressieren und bei Rentenreformen bedenken
Für die aktuellen Reformbemühungen ist es zentral, die weiterhin ungleiche Verteilung von Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern – auch in jüngeren Generationen – sowie deren langfristige Auswirkungen auf das Renteneinkommen systematisch mitzudenken. Ebenso ist es für diese Reformen entscheidend, sich nicht ausschließlich an der idealtypischen Annahme einer kontinuierlichen, vollzeitnahen Erwerbstätigkeit als Rentengrundlage zu orientieren, da dies die tatsächlichen Erwerbsverläufe vieler Menschen – insbesondere von Frauen – nicht adäquat abbildet.
Die Rentenlücke zu schließen, ist nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und gleichwertiger Anerkennung geschlechtsspezifischer Arbeit, sondern auch der sozialen Sicherung und finanziellen Unabhängigkeit.
Für eine innovative und geschlechtergerechte Rentenpolitik ist es entscheidend, die Wechselwirkungen zwischen Wohlfahrtsstaats- und Rentenpolitik sowie die ungleiche Belohnung geschlechtsspezifischer Lebensverläufe zu adressieren. Eine solche Rentenpolitik muss sich dabei auch aktiv für gezielte arbeitsmarkt- und familienpolitische Maßnahmen einsetzen, da Rentenungleichheiten maßgeblich außerhalb des Rentensystems entstehen. Darüber hinaus müssen Rentenpolitiken die Risiken der Reproduktion von Einkommensungleichheiten durch die Privatisierung von Renten berücksichtigen.
Durch eine geschlechtergerechte Harmonisierung von Wohlfahrtsstaats-, Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik können die langfristigen Auswirkungen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ausgeglichen werden. Dies würde sowohl die finanzielle Unabhängigkeit älterer Frauen stärken als auch jüngeren Generationen ermöglichen, durch gerechtere Lebensverläufe eigene Rentenansprüche zu erwerben. Eine kohorten- und lebensverlaufsorientierte Rentenpolitik, die Sorgearbeit stärker anerkennt und geschlechtsspezifische Ungleichheiten in Erwerbs- und Familienverläufen abbaut, kann so einen entscheidenden Beitrag leisten, um langfristig finanzielle Unabhängigkeit zu gewährleisten – für beide Geschlechter.
Für weiteren (wissenschaftlichen) Lesebedarf gibt es in meiner Dissertation in Table 2.1 und Table 3.1 Übersichten zu weiterführenden (oft englischsprachigen) Studien zu dem Thema.
Fußnoten:
[1] [1] Für die Berechnung wird die Summe der gesetzlichen, betrieblichen und privaten Renten genutzt, abzüglich der Hinterbliebenenrente (siehe Diskussion Rowold 2023, 46). Das Sample enthält Frauen und Männer ab 65 im Survey of Health, Ageing and Retirement (Geburtskohorten 1911-1950, Median 1940), die nicht mehr aktiv im Erwerbsleben sind, und einen Lohn erhalten (Rowold 2023, 71). Männer und Frauen in der Stichprobe, die keine Rente erhalten, werden mit einem Renteneinkommen von 0 Euro mit aufgenommen, um den Gender Coverage Gap mit aufzunehmen, und damit die komplette Ungleichheit im Renteneinkommen abzubilden (Zugang zur Rente und Höhe des Renteneinkommens, siehe Kapitel 2.1.3, und zusammenfassend S. 50ff.) (Rowold 2023, 50ff.). Insbesondere die Entscheidung, Hinterbliebenenrenten auszuschließen (besonders relevant in Deutschland) und Individuen ab dem Alter 65 ohne Renteneinkommen mit einer Rente von 0Euro mit einzuschließen (besonders relevant in Italien) führen eher zu höheren Rentenlücken.
[2] [2] Insbesondere letzteres sollte mit einer größeren Stichprobe überprüft werden. Zudem ist festzuhalten, dass auch dieses Ergebnis eine Momentaufnehme für die Geburtskohorten 1920-1950 ist, da die Verbreitung der betrieblichen und privaten Altersversorgung für jüngere Generationen zugenommen hat. Eine detaillierte Beobachtung des (ggbf ungleichen) Zuganges zur betrieblichen und privaten Altersversorgung nach verschiedenen Gruppen, neben Geschlecht beispielsweise auch Bildungsabschlüssen, Einkommenslevel und Migrationshintergrund, bleibt daher sehr relevant.
Referenzen
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Bach, Stefan, Björn Fischer, Peter W. Haan, and Katharina Wrohlich. 2020. “Reform des Ehegattensplittings: Realsplitting mit niedrigem Übertragungsbetrag ist ein guter Kompromiss.” DIW Wochenbericht 87 (41): 785–94. https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-41-1.
Blömer, Maximilian, Przemyslaw Brandt, and Andreas Peichl. 2021. Raus aus der Zweitverdienerinnenfalle: Reformvorschläge zum Abbau von Fehlanreizen im deutschen Steuer- und Sozialversicherungssystem: Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. With Bertelsmann Stiftung. ifo-Forschungsberichte, 126 (2021). Ifo Institut.
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